Freitag, 25. Mai, Sofia

Acht Monate später sind wir wieder zurück. In den dazwischen liegenden Monaten haben wir Material über Bulgarien gesammelt: Filme, Objekte und Fotografien, einschließlich eines Schnappschusses der Kathedrale, den ein deutscher Soldat während des II. Weltkrieges gemacht hatte.

Bulgarien ist jetzt offiziell Teil der Europäischen Union. L. und ich haben das Gefühl, dass diese Reise ganz anders verlaufen wird als die vorige, weil es zwei Ausgangspunkte gibt, von denen aus wir arbeiten werden, nämlich Velingrad und Kazanlak. B. und ihr Vater treffen uns am Flughafen und fahren mit uns ins Hotel. Als wir am späten Nachmittag nach einem Wolkenbruch ins Freie gehen, sind überall Lacken, mit einigen von ihnen sind wir schon seit unserem letzten Besuch per Du.

Wir spazieren Richtung Kathedrale und Flohmarkt und werden bald in Technomusik eingehüllt, die, nach einem Angriff von einer Allianz aus Heavy Metal und kubanischen Rhythmen aus zwei verschiedenen Richtungen, in sich zusammenbricht. Auf der Straße wird getanzt, Bier- und andere Flaschen werden in einer allgemeinen Atmosphäre von Schön-angezogen-feiern herumgereicht. Achtzehnjährige feiern ihren Schulabschluss. Autotüren öffnen sich, der Strom, der durch die Stereoanlagen fließt, bringt die Lautsprecher nahe an einen akustischen epileptischen Anfall. Das Ganze spricht von erst kürzlich erworbenem, jungem, urbanem Wohlstand. Es wäre interessant zu wissen, ob sich Wohlstand auch vor zwanzig oder dreißig Jahren auf diese Art und Weise zur Schau gestellt hat.

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Zurück im Hotel surft L. und ich tauche in Agatha Christies Das Geheimnis der Schornsteine ein. Das Buch ist so erstaunlich wie Todorova es beschrieben hat. Reiner Balkanismus: „Es ist einer der Balkanstaaten, oder nicht? Hauptflüsse, unbekannt. Hauptberge, auch unbekannt, aber ziemlich zahlreich. Hauptstadt, Ekarest. Bevölkerung, hauptsächlich Banditen. Hobby, Attentate auf Könige und Revolutionen.“ Das beschriebene imaginäre Land, Herzoslovakia, war kurze Zeit eine Republik, aber seither „wurden ein oder zwei Präsidenten Opfer von Anschlägen, nur um in Übung zu bleiben“.

Es scheint, als wäre das ganze Buch in den herablassenden, imperialistischen Rassismus dieser Periode (1920er-Jahre) eingetaucht. Die politische Geschichte Bulgariens ist zwar turbulent und es gab einige Attentate auf Präsidenten und Premierminister, trotzdem hat man das Gefühl, als hätte sie das Buch nur auf Grund von jenen Zeitungsmeldungen geschrieben, die ganz bestimmte Interessen vertreten. So, wie wir von Afrika fast immer nur im Zusammenhang mit Kriegsberichten, Dürre und Katastrophen hören.