Samstag, 26. Mai, Velingrad

Als wir Sofia heute verlassen, trommelt schwerer Regen auf das Autodach, aber außerhalb der Stadtgrenze wird der Himmel blau und über uns scheint eine heiße Sonne. In ungefähr südöstlicher Richtung verlassen wir die nach Osten führende Autobahn nahe bei Kostenets und fahren zwischen dem Maritsa-Fluss auf der einen und der Eisenbahnlinie auf der anderen Seite. In der Nähe der Stadt bemerken wir Störche auf dem Dach und dem Schornstein einer alten Fabrik, die anscheinend noch immer, wenn auch nur teilweise, in Betrieb ist.

Wir bleiben stehen. B. telefoniert mit ihrem Vater, der die Straße gut kennt, und findet heraus, dass es eine Waschmittelfabrik ist. Wir machen einige Fotos, überqueren die Eisenbahnschienen und erkunden die Nebengebäude, die Teil der Station sind. An manchen Wänden sind durchgestrichene Anti-Pomak/innen- und Anti-Roma-Graffiti neben ein oder zwei Hakenkreuzen zu sehen. Von Kostenets bis Kirkcaldy (dem Geburtsort von Adam Smith, „Vater“ des ökonomischen Liberalismus und Autor von Reichtum der Nationen) scheinen die Muster von politischer Ignoranz dieselben zu sein. Als ob sich meine geistigen Assoziationen in der realen Welt fortsetzten, gibt es etwas weiter links, zwischen der Straße und dem Fluss, noch eine alte Fabrik, die einst alle neun Billionen Streichhölzer Bulgariens produzierte und sie auch in Nachbarländer exportierte. Sie wurde von Swedish Match 2001 übernommen.

Seither werden alle Streichhölzer aus der firmeneigenen türkischen Fabrik importiert, wo die Produktionskosten wesentlich niedriger sind. Die alte Streichholzfabrik stellt jetzt Feueranzünder und Briketts her, fast ausschließlich für den Export nach Westeuropa bestimmt.

Wir umfahren Belovo, die nächste Stadt, und sehen auf der rechten Seite eine Papierfabrik. Ursprünglich im 19. Jahrhundert gegründet, stellte sie Karton und Verpackungsmaterial her, jetzt produziert sie Toilettenpapier. Türme davon stapeln sich zum Verkauf entlang der Straße, so wie das letzte Mal, als wir in dieser Gegend waren. Dann kommen wir an einer merkwürdigen Skulptur vorbei, L. will sie genauer ansehen. Sie ist das Äquivalent eines fotografischen Negativs: die dargestellte Figur ist immateriell, mit Umrissen aus rostigem Stahl. Sie zeigt eine andere Form der Abwesenheit, als die der örtlichen öffentlichen Todesanzeigen, die durch die Figur hindurch auf dem Wartehäuschen zu sehen sind…

Etwas später kommen wir durch ein Dorf namens September, das sich mit einem abstrakten Betonstern, der in die Erde gerammt ist (oder aus ihr herausschießt), schmückt. Auch hier ist hauptsächlich Abwesenheit dargestellt, eine lokale Besonderheit? Der Stern ist dem Gedenken an den Tod kommunistischer Partisan/innen aus dem II. Weltkrieg am 18. August 1944 gewidmet. Etwas später entdecken wir ein kleineres Monument, das an eine Schlacht gegen die osmanischen Türken erinnert.

Das Tal wird jetzt schmäler und drängt die Straße näher an den Fluss. An einem bestimmten Punkt bemerke ich durch den Saum der Bäume ein Aufblitzen von Farbe, aber ich habe nicht genügend Zeit es bewusst wahrzunehmen.