Donnerstag, 31. Mai, Kazanlak

Nach unserer Ankunft gestern Abend gingen wir nach dem Auspacken essen. Als wir zurückkamen, war die Hotelfassade in ein unheimliches Grün getaucht. Das Zimmer wäre beim Zurückziehen der Vorhänge oder beim Öffnen der Balkontür bald voll mit summenden, fliegenden Insekten und L. und ich sähen aus, als hätten wir Rollen in einem zweitklassigen Zombiefilm. Da es heiß war, beschlossen wir das Zimmer zu wechseln.

In der Früh gehen wir zum Hauptplatz, vorbei an Menschen, die das Stadtzentrum säubern: herumliegenden Müll aufheben, die weißen Streifen auf den Randsteinen frisch anstreichen und Kaugummi vom Gehsteig kratzen. Wir reihen uns hinter einer Prozession von Volkstanzgruppen ein, die am Weg zu einer Probe sind.

Und dann fängt es an zu regnen. Nachdem es aufgehört hat, verlassen wir das schützende Café und gehen fast an einem Stand vorbei, der traditionell gekleidete, hölzerne Marionetten verkauft. Die männlichen Puppen lächeln und die weiblichen sind ernst. B. fragt den Verkäufer, warum. Ohne inne zu halten sagt er: „Na ja, in den letzten Jahren haben bulgarische Frauen nichts zu lachen gehabt.“

Dann erwähnt B. nebenbei, dass der handelsübliche Preis für Rosenpflücken dieses Jahr ungefähr 20 Cent pro Kilo beträgt. Da wir noch nicht draußen auf den Feldern waren, wissen wir nicht genau, was es bedeutet, aber es scheint nicht besonders viel zu sein. Anscheinend haben französische Firmen großes Interesse an der lokalen Rosenölherstellung.

Während des Mittagessens sprechen wir mit B.s Vater (einem Ingenieur a.D.) über die Veränderungen im Wirtschaftssystem. Er erzählt uns von Lizenzverträgen für Dieselmotoren und Gabelstapler. Dass sie hauptsächlich für die anderen COMECON-Länder hergestellt worden waren, bedeutete, dass der Markt schnell zusammenbrach. Als Beispiel erwähnt er eine Fabrik, die früher 4000 Traktoren pro Jahr produzierte, aber jetzt nur noch 5 pro Woche. Er meint auch, dass offensichtlich Korruption eine Rolle spielte, als einige Manager sich ganz bewusst nicht um Aufträge kümmerten und zuließen, dass Fabriken heruntergewirtschaftet wurden, um sie (oder was von ihrem Vermögen übrig geblieben war) billig kaufen zu können. Als eine der Ausnahmen erwähnt er die Teelöffel, die mir letztes Jahr in Burgas aufgefallen waren, sie gehen immer noch gut. Die Produktion von Kalaschnikows unter Lizenz auch. Es gibt hier am Stadtrand eine große Fabrik, das Arsenal. Er meint, dass dort jetzt viel weniger produziert wird, dass es aber in der Vergangenheit ein halb-geheimer Arbeitsplatz von hohem Status war, mit Kindergarten vor Ort und einem kleinen Zoo. All das führte zu einem in dieser Gegend bekannten Witz:
„Was glaubst du, stellen sie dort her?“
„Ich weiß nicht, aber jeden Abend fährt ein Bus mit einer Ladung Kinder heraus…“