Freitag, 1. Juni, Kazanlak

Im Hotel herrscht Enttäuschung, anscheinend wurde eine große Anzahl von Buchungen für das Rosenfestival kurzfristig storniert. Nach dem Frühstück spazieren wir in die Stadt. Das Fest ist in vollem Gang. Kinder und Jugendliche tragen T-Shirts mit dem Logo des Festivals auf der Vorderseite. Es ist dasselbe seit der kommunistischen Ära. Die Shirts werden von einer Stiftung vertrieben, die von Lyudmila Shivkova (der Tochter von Todor Shivkov und Kulturministerin) gegründet worden war. Nur die Rückseite hat sich verändert: dort steht jetzt das Logo einer Telekommunikationsfirma und einer Versicherungsgruppe.

Dieses augenscheinliche Paradoxon scheint das Leitmotiv des Festivals zu sein, das gerade dabei ist die Wellen des Übergangs von einem kommunistischen Volksmusikfestival zu einem globalen Tourist/innenevent zu reiten. Etwas später fahren wir zu den Rosenfeldern außerhalb der Stadt. Eigentlich hatten wir vor, mit einigen Rosenpflücker/innen zu sprechen, aber als wir ankommen, sehen wir eine Volkstanzgruppe (junge Leute in Alltagskleidung), die ihre Tänze üben, um sie später in der Stadt vorzuführen. Die Probe findet auf einem Parkstreifen neben der Straße statt, dass Autos an ihnen vorbeischießen scheint die Freude der Tänzer/innen nicht zu trüben. Die Anführerin der Gruppe bellt ihre Befehle und Korrekturen in derselben Diktion wie ein Oberstabsfeldwebel auf einer Parade. Sie ist klein, stämmig und intensiv selbstgerecht. Kurz nachdem L. die Kamera aufgebaut hat, macht sich ihre muskulöse Präsenz genau vor der Optik sichtbar und demonstriert so, dass Filmen unter keinen Umständen toleriert werden kann. Ihrem Gesichtsausdruck und der allgemeinen Haltung nach zu urteilen, könnte man annehmen, es sei immer noch eine Straftat, mit einer Kamera in eine andere als eine autorisierte Richtung zu zeigen…

Nach unserer kurzen Begegnung mit der militärischen Autorität der Tanztrainerin - genau richtig für eine Stadt, die für „Guns and Roses“ berühmt ist - fahren wir weiter die Straße entlang, um uns eine Statue neben einer Tankstelle anzusehen. Sie stellt sich als weiteres Monument, das an die Ereignisse von 1923 erinnert, heraus. Der Sozialistische Realismus hat allerdings einen zeitgenössischen Glanz bekommen: die Zehennägel sind leuchtend rot bemalt.