Sonntag, 10. Juni, Sofia

L.s und B.s Kontakte mit dem Romano Centro in Wien und B.s Hartnäckigkeit am Telefon haben wir es zu verdanken, dass wir eine Verabredung mit K. haben, einem der wenigen Roma-Parlamentsabgeordneten während der kommunistischen Ära. Er besitzt eine Geistesgegenwart und eine Art sich auszudrücken, bestimmte Themen auszulassen und andere hervorzuheben, die ich mit erfahrenen Politiker/innen und Diplomat/innen assoziiere. Er beschließt, sehr charmant, uns eine kurze Version der Geschichte der Roma zu geben und macht immer wieder Pausen, damit B. alles übersetzen kann. Er verwendet das Wort Zigeuner/innen, und weist darauf hin, dass es in anderen Ländern nicht mehr gebräuchlich ist, meint, es sei nicht so wichtig und egal, wie man genannt werde oder sich benenne, sie seien unabsichtliche Kosmopolit/innen.

„Während unserer Geschichte haben wir Grenzen überschritten“, sagt er, „und traditionell versucht sie zu ignorieren: bis jetzt waren zwei Goldmünzen immer ein gültiger Pass, damit die Schranken hochgingen. Historisch gesehen haben wir oft Empfehlungsschreiben von einem Machthaber zum nächsten getragen, von einer lokalen Autorität zur anderen, die unseren guten Charakter bescheinigten.“

Ich erinnere mich, dass uns A. und P. in Kazanlak erzählten, sie hätten einen Brief der Bürgermeisterin ihres Dorfes besessen, der ihnen das Reisen ohne Belästigung von Behörden anderer Gebiete erlaubte. K. meint: „Diese Vorgehensweise stirbt aus, seit die Demokratie gekommen ist.“ Die romanessprachige Zeitung habe aufgehört zu erscheinen und der Assimilierungsdruck bestehe weiter. Herrscher haben den Zigeuner/innen immer gesagt, sie könnten in ihrem Territorium bleiben, „wenn sie eine/r von uns würden“, was erklärt, warum es muslimische und christliche sowie viele andere Religionen unter den Roma, Sinti und verschiedensten Subgruppen gibt, die, wie er sagt, in Wirklichkeit immer atheistisch waren. „Die nicht-nomadischen unter uns wollten immer in getrennten Wohngebieten bleiben, damit wir uns aneinander anlehnen können.“ Folglich basiert der Wunsch nach räumlicher Trennung auf Gegenseitigkeit, doch nicht die „Mauern der Schande“ von manchen Städten. „Die Probleme, denen wir gegenüberstehen, sind an erster Stelle sozialer und nur an zweiter Stelle ethnischer Natur. Und sie können nicht gelöst werden, indem man Roma-Familien in ‚bulgarische’ Hochhausappartements steckt. Viele von uns wollen so nicht leben und bis zu 80 % derer, die es wollen, kommen am Wochenende in die Roma-Bezirke zurück, um bei ihren Familien zu sein. Das öffentliche Bild der Zigeuner/innen kommt von Opern wie Carmen, aus Büchern wie Don Quixote oder sogar aus den Geschichten von Puschkin.“, sagt er. Und die fröhlichen, romantisch singenden Zigeuner/innen? „Das ist alles Unsinn; in allen diesen Liedern steckt eine Portion Melancholie.“ Wegen der anhaltend schlechten Presse hinsichtlich der Roma, der politischen Instrumentalisierung und der damit zusammenhängenden Themen, wollen sogar seine eigene Tochter und Enkelin nichts mit der Roma-Kultur zu tun haben, sie erwähnen sie nicht einmal.