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Ausstellung 2015: Werkvorführung Franz Erhard Walter in der Secession Wien

 FRANZ ERHARD WALTHER
WERKVORFÜHRUNG
 
 
Mit Franz Erhard Walther, einem der maßgeblichen Künstler der Gegenwart, eröffnet am 29.1.2015 die 1995 gegründete Sammlung der EVN das Jubiläumsjahr ihres 20-jährigen Bestehens.
 
Franz Erhard Walthers Werke, Handlungen und Analysen haben Kunstprofis zu elementaren Untersuchungen angeregt, und Generationen von Künstlerinnen und Künstler entscheidend beeinflusst. Er hat ein Werk entwickelt und etabliert, wie es komplexer und revolutionierender nicht sein kann. Die Souveränität und Selbstverständlichkeit, mit der er die Bildvorstellungen des 20. Jahrhunderts verändert hat, lässt auch die aktuellen Entwicklungen der Kunst klarer erscheinen.
 
Franz Erhard Walther wird 1939 in Fulda in eine Familie von Bäckern geboren. Später wird ihm auffallen, dass sich die Methoden dieses Handwerks in seiner Arbeit abbilden: die Prinzipien des Teilens, des Einpackens, des Schichtens, des Überdeckens, die Wirkung von Material. In Offenbach besucht er die Werkkunstschule und entdeckt die Schraffur als Ausdrucksmöglichkeit. Als er 1964 zum ersten Mal eine kleine Auswahl seiner Arbeiten in seiner Heimatstadt zeigt, gibt es einen in der regionalen Presse ausführlich kommentierten Kunstskandal. 1959 studiert er an der Städelschule in Frankfurt und beginnt, sich mit dem Prozess der Veränderung von Material als Werkform zu beschäftigen. Es entstehen Papierarbeiten durch Knicken, Falten, Reißen, durch Leimen, Kleben und Durchtränken, Arbeiten, die er reiht, legt, stapelt, schichtet, stellt und hängt. Als er 1961/62 die Rückseiten bemalter Bilder zum gültigen Werk erklärt, werten das die Professoren als „eine deutschen Kunsthochschulen nicht gemäße“ Provokation und veranlassen die zwangsweise Exmatrikulation eines Künstlers, dem es nie um Destruktion, sondern um Erweiterung der Kunst in die soziale Dimension gegangen ist. 1962-64 inskribiert er beim informellen Maler Karl Otto Götz in Düsseldorf, wo zur selben Zeit auch Gerhard Richter, Sigmar Polke und Konrad Lueg alias Konrad Fischer studieren. Er verwendet Flüssigkeiten wie Pflanzenöl oder Kaffee. Sie dringen ins Papier ein, breiten sich allmählich aus und sickern zur Rückseite durch, statt bloß als Grund für verschiedene Darstellungen zu dienen, entsteht ein konkret bearbeiteter, flacher Körper.
 
Demgegenüber entwickelt Walther Stoffarbeiten aus Baumwolle, die seine ehemalige Frau Johanna in der Schneiderei ihrer Eltern näht. In den folgenden sechs Jahren entstehen die insgesamt 58 Teile des 1. Werksatzes, mit dem Walther jenen fundamentalen Gedanken verwirklicht, der die moderne Kunst zum Umdenken zwingen wird: In diesem wegweisenden Werk der Conceptual Art ersetzt er den Prozess der Materialveränderung durch offene Handlungen, die der Rezipient mit den Werkstücken vollzieht. Zum ersten Mal in der Geschichte der Kunst wird das Verhältnis von Werkbegriff und Kunsterfahrung neu formuliert: Es wird als Handlung, der Betrachter wird als Benutzer verstanden. Walther etabliert seinen anderen Werkbegriff, der Ereignis, Körper und Partizipation für sich beansprucht und den Rezipienten als Produzenten einsetzt, dem der Künstler ein Instrumentarium bereitstellt.
 
1965 ermöglicht ihm der Galerist Heiner Friedrich nach New York zu gehen, wo er in einer Konditorei Torten verziert. Kasper König gibt das erste Buch »Objekte, benutzen« heraus, und Bazon Brock kommentiert es euphorisch als „Beispiel für die Überwindung der Kunst durch die Kunst“. Auf Einzelausstellungen in führenden Avantgarde-Galerien folgt die Teilnahme an Harald Szeemanns legendärer Berner Ausstellung When Attitudes Become Form.
1970 wird Walther von New York an die Hamburger Hochschule für Bildende Künste berufen, an der er bis 2005 unterrichtet, 1972 folgt die erste Einladung zur documenta in Kassel, an der er vier Mal teilnehmen wird.
 
Walthers Werkstücke sind funktionalen Instrumenten und Werkzeugen vergleichbar, die in bestimmter, durch ihre materielle Beschaffenheit vorgegebene Weise zu handhaben sind. Bei der Entscheidung, wie mit den Stücken umzugehen ist, handelt es sich um einen mentalen Prozess der Formung. Alles kann zum Material dieses vom Rezipienten und nicht vom Künstler hervorzubringenden Werkes werden: Zeit, Denken, Sprache, Emotion, Wetter oder Raum sind mögliche Werk-Stoffe, aber auch andere Menschen. Die klassische Einheit des Werks zerfällt in einen vom Künstler hervorgebrachten, materiellen Teil und in einen vom Rezipienten gedanklich auszuformenden, immateriellen Teil. Nach 1969 entstehen Werk-Komplexe wie der 2. Werksatz mit Schreitstücken und Raumarbeiten und die umfangreiche Gruppe der Wandformationen aus neutralen und starkfarbigen Baumwollstoffen, die Walther 1997 abschließt. Der instrumentelle Charakter der früheren Arbeiten verbindet sich nun mit der intensiven Präsenz der Installationen zu komplexen Erfahrungs- und Beziehungsfeldern. Sich in die Installation hineinbegebende Menschen sind Bestandteil der Arbeit und skulpturales Element.
 
 
 
Für die Werkvorführung in der Secession werden zwei Arbeiten fix im Raum installiert:
 
Werklager, Sockelsammlung, 1984/86, aus dem Besitz des MUMOK, Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig, Wien (die Arbeit wurde bereits 1989 in der Secession gezeigt)
2 Körperformen, Schwarz, Rot, 1983, eine Neuerwerbung der evn sammlung.
 
Darüber hinaus können die Arbeiten 2 Schreitsockel, 1975, sowie drei legendäre Objekte aus dem 1. Werksatz vom Publikum aktiviert werden:
4 Felder, (Nr. 21, 1. Werksatz) 1966
Objekt kurz vor der Dämmerung , (Nr. 32, 1. Werksatz) 1967
4 Körpergewichte, (Nr. 42, 1. Werksatz) 1968
 
Mit herzlichem Dank an die Wiener Secession (Herwig Kempinger, Silvie Liska, Annette Südbeck), Susanne Neuburger (mumok), Nikolaus Oberhuber (KOW Berlin), Andreas Reiter Raabe und Susanne Walther.
 
Text: Brigitte Huck, Kuratorin der evn sammlung