Irgendwie ist es auch meine Taufe, es ist die erste orthodoxe Kirche, in der ich jemals war. In einem Teil der Zeremonie nimmt der Priester das Kind unter Protestschreien aus den Händen der Eltern und verschwindet mit ihm in einem für normale Kirchenbesucher verschlossenen Teil des Gebäudes. Nach einer Weile betreten Priester und Kind das Gebäude durch eine andere Tür in der Wand.

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Dann machen wir uns auf den Weg zum Nationalmuseum für Archäologie und finden in der Nähe ein Kaffeehaus. Wir umrunden die aus roten Ziegelsteinen gebaute Kirche St. Georg aus dem 4. Jahrhundert und schauen uns im Inneren die Fresken aus dem 14. Jahrhundert an.

Wir sind erstaunt, als wir dann in einer Unterführung moderne militärische Uniformen (für mich von nicht bestimmbarem Datum) neben ausgegrabenem römischem Ziegelwerk sehen. Wir spazieren den Hügel hinunter und finden uns auf einem Platz wieder, vor der Hauptmoschee, wie es scheint. Auf der Fassade der städtischen Mineralbäder zu unserer Rechten sind dekorative Majolikakacheln angebracht, die aussehen, als wären sie mit dem Wiener Jugendstil mit türkisch-muslimischem Einfluss verwandt. Ich hatte eben zuvor eine Postkarte vom Inneren der Gerichtshöfe mit ähnlichen geschichtlichen Hinweisen gesehen. In diesem Fall spiegeln die weißen wabenartigen Putzornamente an der Decke des Gewölbes eine Beschäftigung mit muslimischer Kunst mit geometrischer Perfektion wider und erinnern mich an einiges der wunderbaren marokkanischen Handwerkskunst in Rabat und Fez.

Es erstaunt uns sehr, dass es fast unhörbar ist, wenn von der Moschee zum Gebet gerufen wird, so als würde der Muezzin von weit unten aus einem Brunnen heraufflüstern. Ein Fall von politischer Strangulierung und ein ziemlicher Kontrast zu der Moschee, neben der wir in Dakar wohnten.

Dort wurden wir jeden Tag bei Tagesanbruch geweckt und obwohl ich den Glauben nicht teile, ist es viel besser als der verhasste Wecker. Vielleicht ist etwas mit den Lautsprechern nicht in Ordnung, denken wir, bis wir neben der Moschee einen mobilen „Stand“ bemerken und ein Passant uns auf Englisch erklärt, dass es sich um eine Kampagne von Attaca, einer politisch rechten Bewegung, handelt. Sie sammeln Unterschriften, um den Aufruf zum Gebet zu verbieten, „weil er zu laut ist“. Kirchenglocken scheinen nicht auf derselben Audioskala gemessen zu werden und ich glaube, die jüdische Gemeinschaft kann nur dankbar sein, dass ihre Gebetstreffen nicht öffentlich ausgerufen werden, da sich die Synagoge um die Ecke befindet. Wir müssen unseren Besuch auf morgen verlegen, weil heute Sabbat ist.  

Wir trinken Kaffee in einem Eissalon, in einer von Bäumen bewachsenen Seitengasse einige Häuserblocks von der Synagoge entfernt, und unterhalten uns über Arbeitsstrategien. Es ergeben sich schon einige Themen: die Tatsache, dass es eine politische Partei mit einer radikal nationalistischen Anti-Muslim/innen-Haltung gibt, legt nahe, dass Fragen nach der so genannten nationalen Identität jemandem zurzeit einen politischen Machthebel in die Hand geben. Minderheiten bieten immer eine Gelegenheit sie zu instrumentalisieren, egal welches Land man als Beispiel heranzieht. Ich habe genug gelesen um zu begreifen, dass die bulgarische Identitätskonstruktion in den letzten 140 Jahren, seit dem (Wieder-)Erlangen der Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich, viele radikale Transformationen durchgemacht hat.