„Ich habe eben gedacht“, sagt L., „dass ich in den 60er-Jahren viel gebrauchte Kleidung getragen habe, von wirklich guter Qualität, seidene Kleider, Angorapullover und so weiter. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, frage ich mich wirklich, wo das alles hergekommen ist. Es war vielleicht Kleidung von deportierten Juden und Jüdinnen oder von begeisterten Nazis. Es ist irgendwie ernüchternd, über die Geschichte, die ich vielleicht getragen habe, nachzudenken.“

„Und was ist mit all den Stücken ehemaliger Armeeausrüstungen, die wir hatten, den Gasmaskentaschen, in denen wir unsere Bücher trugen.“

„Und dieselbe De-Kontextualisierung gilt auch für neue Kleidung. Alles, was man weiß, ist, wer der/die Designer/in ist, das Herstellungsland und den Preis, fast nichts aber über die Bedingungen, unter denen produziert wurde. Und dass alles so billig ist, weil es keine Kollektivverträge, keine Minimalstandards… gibt.“

Wir entschließen uns wieder durch die Hinterstraßen in Richtung des Nationalpalastes der Kultur (NDK) zu spazieren. Wir überqueren den Boulevard Alexander Stamboliski, wenden uns etwas später nach links und kommen auf den Boulevard Vitoscha, eine Straße mit Geschäften und Cafés.

Trotz der schwarzen Wolken, die sich über unseren Köpfen zusammenziehen, gehen wir weiter bis zu dem Punkt, an dem wir tatsächlich den Kulturpalast sehen, müssen dann aber mit einigen Anderen unter der Markise eines Geschäftes Zuflucht nehmen, da plötzlich Regen aus allen Wolken bricht. Die Markise bietet uns nicht viel Schutz vor der Menge an Wasser, die herunterstürzt. Der Ladenbesitzer kommt heraus, wirft einen Blick auf uns und verschwindet wieder in seinen Geschäftsräumen. Wir alle sind dankbar, als er eine Minute später an einer anderen Tür erscheint und uns in den Gang des Wohnhauses winkt, in dem er sein Geschäft hat. Wir gehen hinein und betrachten den steigenden Wasserspiegel. Er verwandelt die ganze Straße in einen Fluss, der über die Ufer tritt. Würden wir jetzt versuchen die Straße zu überqueren, wie die ziemlich entschlossen wirkenden jungen Männer dort drüben, würde uns das schlammige Wasser bis über die Knöchel reichen und wir wären völlig durchnässt, bevor wir mehr als einige Schritte getan hätten. Es ist unmöglich zu fotografieren, nur in die Nähe der Tür zu gehen, und uns umgibt Dunst aus Regentropfen, die von der Markise nebenan abprallen oder die beim Fallen aus den Baumkronen der Bäume entlang der Straße zerstäuben. Alles, was wir tun können, ist zu warten, zu schauen, dem Trommeln des Platzregens zuzuhören und uns über die leichte Abkühlung zu freuen. Autoboote treiben die Straße herunter, ein doppeltes Kielwasser hinterlassend, wie Schnellboote aus einer Miami-Ferienfantasie.