In seinen Romanen und Kurzgeschichten verwendet Ballard das Bild von Ruinen auch auf allgemeine Art und Weise, in der Rolle von „archeopsychischer Vergangenheit“, wie er es nennt, (Hallo, Amerika (1981), Karneval der Alligatoren (1962)). Dort dienen sie als Metaphern für Reisen nach innen.

Fabriksruinen, wie etwa die große Industrieanlage, die wir letztes Jahr an der Küste südlich von Primorsko gesehen haben, sind zugleich gegenutopische Landschaften und verlassene Hüllen, Zeugen seismischer, ökonomischer Ereignisse. Von Beginn an repräsentierte die Fabrik immer einen streng überwachten, hochspezialisierten Raum sowie streng kontrollierte Zeit. Ausschließlich auf die Funktionalität des Raums ausgerichtet, auf die mechanische Effizienz in der Herstellung der gewünschten Güter und charakterisiert durch einen hohen Grad an regulärer Instandhaltung, boten Fabriken aber auch einen fixen Kern von strukturierter sozialer Interaktion. In ihrem dysfunktionalen Zustand repräsentieren sie Scheitern, persönliches, historisches und ökonomisches: ihre zerbrochenen Fenster, aus den Angeln gehobenen Türen, sich ablösende Farbe und die herumflatternden Tauben in den leeren Räumen sind bedrohliches Ödland für die meisten Menschen, denen die Fragilität von ökonomischen und sozialen Strukturen bewusst wird, die ihnen einmal wie ein dauerhafter Fixpunkt erschienen war. Die Produktion wurde woandershin verlagert, das Wissen zurücklassend, dass der Fortschritt einer Person oft die Zerstörung der „traditionellen“ Lebensart der vorigen Generation repräsentiert. In vielen westeuropäischen Städten bieten Ruinen einen „Freiraum“ für Pflanzen, Tiere und Menschen, besonders für junge und Obdachlose. Mit zunehmender Kontrolle des öffentlichen Raumes - der Installation von mehr und mehr Überwachungskameras, der Transformation von Geschäftslokalen in öffentlichen Einkaufsstraßen zu privaten und polizeilich überwachten Einkaufszentren sowie mit Gesetzen gegen „Herumlungern“ (Samila Kawashals nennt es die „ewig andauernde Bewegung der Obdachlosen“) - können Ruinen buchstäblich und auf einer metaphorischen Ebenen Asyl gewähren.

Während ich hier stehe und dieses monumentale Bauwerk eines Systems betrachte, das noch immer dabei ist seinen Platz in der Geschichte neu zu verhandeln, fällt mir ein seltsamer Kontrast auf: die vergleichsweise Geschwindigkeit und Leichtigkeit, mit der der Angriff auf das World Trade Centre historisiert wurde. Innerhalb von drei Wochen nach dem Ereignis hatten sich Kurator/innen aus über 30 wichtigen amerikanischen Museen (einschließlich dem Smithsonian Institute) zu einer Sitzung getroffen. Der Hauptpunkt auf der Tagesordnung war eine Diskussion darüber, welche Artefakte man aus den Ruinen bergen sollte, um die Geschichte von 9/11 zu dokumentieren. Die Ausstellung September 11: Bearing Witness to History wurde rechtzeitig zum ersten Jahrestag im Smithsonian Institute eröffnet und tourte drei Jahre lang durch das Land, bis sie 2006 ihre Pforten schloss. Ich sehe mir die Sammlung online genauer an und spüre, dass Geschichte hier nicht so sehr im Kontext dokumentiert wurde, sondern, dass es vielmehr darum ging sicherzustellen, Geschichte mittels Ikonen und patriotischer Symbole mit dem richtigen „Geschmack“ ins nationale Bewusstsein einzuschreiben.

Eine Weile stehen wir unter dem Turm mit dem roten Stern. Bedenkt man die weite Fläche, ist er wahrscheinlich die größte Sonnenuhr der Welt, obwohl er heute wegen den grauen Wolken, die über den Himmel, aus dem Regen auf uns fällt, gepeitscht werden, keinen Schatten wirft. Als wir beinahe die ganze Runde gegangen sind, bemerke ich auf Kniehöhe ein zerbrochenes Fenster. Ich entdecke, dass ich mich auf etwas, was wahrscheinlich der Absatz einer von Schutt bedeckten Betontreppe ist, hinunterlassen kann. Ich warte einen Moment, horche auf den Wind und auf andere Botschaften dieses Ortes, das Knarren, Klappern und Kratzen der durch den Wind lebendig gewordenen Gegenstände und auf Geräusche von Tieren in diesem menschenleeren Gebäude.