M. erklärt uns, dass man im Kommunismus nicht nur eine besondere Passgenehmigung und ein Visum brauchte, um internationale Grenzen zu überqueren. Es gab auch Grenzen innerhalb der Grenzen innerhalb der Grenzen. Hinter der tatsächlichen Linie, die zwei Staaten voneinander trennte, gab es eine „absolut verbotene“ Zone, die zwischen einer Größe von 10 und 100 Metern variierte. Danach gab es zwei weitere Zonen, die die Grenzkontrollen dreißig Kilometer ins Land rückten. Das bedeutete, dass jeder, der nicht innerhalb des Landstreifens, der zur internationalen Grenze führte, wohnte, einen glaubwürdigen Nachweis brauchte, um hineinzukommen. Da gab es nicht nur Stichproben auf der Straße, sondern auch ständig bemannte Straßenblockaden. Diejenigen, die innerhalb dieser Zonen lebten, hatten spezielle Ausweise, die ihnen erlaubten, dort zu leben und ihr Land zu bewirtschaften. Heutzutage hat sich die sichtbare Übereinstimmung von Territorium und Grenze verändert: wir sehen ein Gebiet, in dem viele „echte“ Grenzen verschwinden (besonders jene, die den Güter- und Kapitalfluss einschränken) und neue konstruiert werden. In der EU werden genau zu der Zeit die inneren, nationalen Grenzen abgeschafft,  in der man beginnt zur Kontrolle von Migration ihren südlichen Rand im geografischen Territorium von Marokko und Senegal anzudenken. Nach Ansichten von Immigrant/innen und Reisenden beginnen die Grenzbeschränkungen der USA in Wien oder Sofia, zum Beispiel, und werden von jeder dieses Ziel anfliegenden Fluglinie durchgeführt.

Unsere Straße führt nun durch eine Region, in der Tabak gepflanzt wird. Nach einer Weile wenden wir uns Richtung Norden, folgen dem Varbitsa-Fluss und verlieren am Weg nach Kardzhali an Höhe. In fast jedem Dorf, an dem wir vorbeikommen, zeigen Minarette wie Finger in den Himmel. Historisch gesehen gab es hier eine starke osmanisch-türkische Präsenz, sodass bis zum Ende der Balkankriege gegen das Osmanische Reich die Bevölkerung größtenteils türkisch oder bulgarisch sprechende Muslim/innen waren.

Während der nächsten zwanzig Jahre hatten die forcierten Vertreibungen und „ermutigte“ Emigration der letzteren, der darauf folgenden kommunistischen Politik, die die christlichen Bulgar/innen unterstützte sich in diesem Gebiet niederzulassen, zusammen mit der postkommunistischen Wirtschaftskrise (die zu weiterer Emigration in die Türkei führte) zur Folge, dass jetzt nur noch ungefähr 60% der Stadtbewohner/innen „türkisch“ sind. Diese Überschneidung von ethnischen und religiösen Kategorien ist etwas, über das ich mir klar werden muss. Roma sind in der Stadt ebenfalls präsent (wie in den meisten Orten) und machen ungefähr 3% der Bevölkerung aus, eine Spur weniger als der nationale Durchschnitt. So ist die Stadt, obwohl politisch von einer türkisch-muslimischen Bewegung kontrolliert, jetzt viel vermischter als sie es einmal war. Und die Stadt wird noch immer kleiner: sie hat in den letzten 15 Jahren schätzungsweise 10% ihrer Bewohner/innen verloren.

Es ist Mittag, die Sonne ist stark und nachdem wir über die Arda-Brücke in die Stadt gekommen sind (der Fluss fließt von West nach Ost), rasten wir, lassen das Auto im Schatten in der Nähe stehen und gehen in einen Park, um ein riesiges, schwarzes Monument anzuschauen, das beim Vorbeifahren unsere Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Es stellt sich heraus, dass es die schäbigen Überreste eines Denkmals aus der kommunistischen Ära sind. Von dem, was vom Sockel übrig ist, ist klar, dass hier eine bronzene Statue gestanden haben muss, die brutal heruntergestürzt und entfernt wurde. Alles, was jetzt übrig ist, sind rätselhafte Steinblöcke und ein (buchstäblich) schlechter Geruch, sie scheinen als öffentliche Toilette in Gebrauch zu sein. Im Gegensatz dazu ist das Monument zum Gedenken an die Balkankriege auf der anderen Seite des Parks unversehrt, noch immer Teil der annehmbaren Geschichtsschreibung. Und es gibt noch eine rätselhafte Statue aus Stein aus dem karstigen Gebiet in der Umgebung.