Eine Skulptur in Form eines Architekturmodells, das eine Geschichte erzählt: Zu sehen ist einer der größten Wohnblocks Polens, der unter der Bezeichnung „Superjednostka“ (Supereinheit) von 1961 bis 1970 am östlichen Rand der Industriestadt Katowice errichtet wurde. Das 15-stöckige, von dem Architekten Mieczysław Król geplante Gebäude, das heute noch genutzt wird und in dem etwa 3000 Menschen leben, ist Teil einer gigantisch dimensionierten Stadterweiterung, wie sie für die 1960er-Jahre typisch war, und befindet sich mit einer Mehrzweckhalle am Ende einer breit angelegten Repräsentationsmeile sozialistischer Moderne.

Oft wird auf die Ähnlichkeit und konzeptuelle Verwandtschaft des Kattowitzer Superblocks mit der Unité d’Habitation von Le Corbusier verwiesen. Tatsächlich erinnern nicht nur der Name der Anlage, sondern auch ihre Trägerkonstruktion und die auf Piloten aufgeständerte Form an das berühmte Architekturbeispiel der doktrinären Moderne. Le Corbusier wollte durch standardmäßige Serienproduktion seiner gigantischen Wohnmaschinen ein möglichst hohes Maß an Effizienz erreichen. Heute gelten die Bauten als Meisterwerke der modernen Architektur, aber auch als Synonym für die Gleichschaltung der Menschen und ihrer Bedürfnisse.

Kobylarz, der erst 20 Jahre nach der Planung der „Supereinheit“ zur Welt kam, erinnert daran, dass in der Kombination von Ästhetik und Funktionalismus speziell in den 1960er-Jahren zwischen der westlichen und östlichen Baukultur keineswegs jene tiefe ideologische Kluft bestand, die im Kalten Krieg behauptet wurde: Hier wie dort galten Fortschrittseuphorie und die Vorstellung, durch „social engineering“ und Planung im großen Stil das Glück der Menschen zu optimieren. Die Befreiung vom kommunistischen Erbe ist für den Künstler ebenso Thema wie die Dekonstruktion der Moderne und ihrer Symbole.

Szymon Kobylarz hat den 50 Jahre alten polnischen Renommierbau in Form eines klassischen Architekturmodells nachgebildet. Doch er zeigt den Superblock von Kattowitz als bedrohliche Ruine. Die Ursache für die schwarze Lücke im Gebäude und die Brandspuren bleibt offen. Ob es sich um eine reale Katastrophe handelt oder um den allegorischen Kommentar eines jungen Künstlers, der unbekümmert mit der Vergangenheit umgeht, ist letztlich egal. Der utopische Anspruch der Moderne ist jedenfalls längst Geschichte – auch in seiner sozialistischen Variante.

Wolfgang Kos, Heike Maier-Rieper, 2011